ÜBERSICHT

Risikofaktoren und Symptome

Dr. Thomas Hochholzer | Dr. Karl Flock

JEDER GESUNDE BERGSTEIGER MIT EINER GUTEN KONDITION sollte bei einer optimalen Akklimatisation Höhen zwischen 6000-7000 m erreichen können. Jedoch wird jeder Bergsteiger höhenkrank werden, wenn er zu schnell in die Höhe steigt. Das bedeutet, dass man durch ein geeignetes Aufstiegsschema Erkrankungen in der Höhe minimieren kann.


Unter dem Sammelbegriff akute Höhenkrankheit oder Bergkrankkheit versteht man alle Anpassungsstörungen an den Sauerstoffmangel.

Drei höhenbedingte Syndrome stehen dabei im Vordergrund: Akute Höhenkrankheit (AHK), Höhenlungenödem (HLÖ) und Höhenhirnödem (HHÖ)

Therapieschema akute Höhenkrankheit

1. AKUTE HÖHENKRANKHEIT Die akute Höhenkrankheit tritt vornehmlich in Höhen zwischen 2500 und 6000 m auf, also auch in den Alpen. Im Gegensatz zu außeralpinen Höhenregionen verläuft die Höhenkrankheit in Europa nur selten dramatisch, weil meist in kürzester Zeit ein Abstieg in tiefere Lagen möglich ist. Etwa die Hälfte der Trekker im Everestgebiet berichten über Symptome der akuten Höhenkrankheit. Das individuelle Beschwerdebild bei akuter Bergkrankheit kann sehr unterschiedlich sein. So ist es erstmal wichtig, die Symptome der Höhenerkrankung richtig zu erkennen. Grundsätzlich sollten alle Beschwerden in der Höhe erst einmal auf Akklimatisationsstörungen zurückgeführt werden, bevor nicht eine andere Erkrankung festgestellt wird. Die Anfälligkeit für die akute Höhenkrankheit ist unabhängig vom Trainingszustand.

Das häufigste Symptom der akuten Höhenkrankheit ist der Kopfschmerz.

Es handelt sich dabei charakteristischerweise um dumpf klopfende Schmerzen, die bei Erreichen einer bestimmten neuen Höhe rasch auftreten können. Sie verstärken sich häufig nachts und beim Aufwachen. Anstrengungen intensivieren den Kopfschmerz. Oft sind die Kopfschmerzen nicht behandlungsbedürftig, sie verschwinden nach wenigen Stunden oder einem Tag in der Höhe und sprechen meist gut auf Entzündungshemmer (z.B. Ibuprophen oder Diclophenac) an. Dennoch sind sie immer ein Anzeichen dafür, dass eine optimale Akklimatisationsstufe noch nicht erreicht ist. Treten nur zwei bis drei der weiter unten aufgelisteten Symptome auf, gilt die Diagnose bereits als gesichert und muss zu den entsprechenden Maßnahmen führen.

Risikofaktoren der akuten Höhenkrankheit

Individuelle Disposition

Aufstiegsgeschwindigkeit

Körperliche Überlastung

Absolute Höhe

Mangelnde Vorakklimatisation

Atemwegsinfekte

Schlafmittel

Symptome der akute Höhenkrankheit

Kopfschmerz

Müdigkeit

Schwäche

Appetitlosigkeit

Übelkeit

Ruheherzfrequenzerhöhung über 20 %

Atemnot bei Anstrengungen

Teilnahmslosigkeit

Periphere Ödeme in Händen oder Gesicht

Wie soll man nun mit SCHMERZMITTELN und MEDIKAMENTEN IN DER HÖHE umgehen?

Bei Kopfschmerzen, die nicht innerhalb von wenigen Stunden verschwinden, kann man durchaus zu Paracetamol, Ibuprofen oder Diclofenac greifen. Sollten die Schmerzen dann nicht besser werden, käme auch noch der Versuch mit 4 mg Dexamethason (Kortisonpräperat) in Frage. Hilft das auch nicht, muss abgestiegen werden. Nifedipin (Adalat ret.® 20 mg) soll beim HLÖ zu Beginn und alle weiteren sechs Stunden gegeben werden. Acetazolamid (Diamox®) kann bei schnellen Aufstiegen (Rettung) und bei Schlafstörungen (Schnappatmung) in der Dosierung 2x125 mg verabreicht werden. Damit kann die Wahrscheinlichkeit höhenkrank zu werden, reduziert werden. Allerdings wirkt Diamox nicht bei jedem. Sildenafil (Viagra®) scheint bei HLÖ positiv zu wirken. Prophylaktisch wird oft von angloamerikanischen Bergsteigern der 3D-Coktail (Dexamethason/Diamox/Dexitrin) eingenommen, was jedoch die Symptome der akuten Höhenkrankheit verschleiert und damit oft zu verzögerten Reaktionen in der Therapie führt.

Bemerkung: Cortisonpräperate sollten eigentlich nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen oder verabreicht werden. Dies gilt natürlich besonders für die intramuskuläre Spritze (Dexamethson Fertigspitze) beim Höhenhirnödem. In dieser Notsituation kann jedoch diese Spritze Leben retten, so ist es aus meiner Sicht durchaus indiziert, dass medizinische Laien diese Injektion vornehmen. Auch sind die Nebenwirkungen bei oraler Gabe von Dexamethason Tabletten überschaubar. Wenn diese Tabletten jedoch innerhalb von etwa zwei bis drei Stunden nicht wirken, dürfen keine weiteren Medikamente verabreich werden und es muss abgestiegen werden.


Die beste und effektivste Behandlung aller Formen der schweren akuten Höhenkrankheit heißt immer: mehr Sauerstoff.




Aufstieg in Eisflanke

Das bedeutet eine Erhöhung der Sauerstoffaufnahme durch Abstieg oder Abtransport in tiefere Höhenlagen, durch die Gabe von Flaschensauerstoff oder durch die Erhöhung des Sauerstoffpartialdrucks im Überdrucksack. Bereits bei zwei bis drei Symptomen der Höhenkrankheit sollte kein weiterer Aufstieg erfolgen, sondern man sollte einen Ruhetag einlegen: Körperliche Schonung und bewusste Hyperventilation lassen milde Symptome meist innerhalb von ein bis zwei Tagen verschwinden. Verschlimmern sich die Symptome, muss sofort unter Begleitung abgestiegen werden. Bei schweren Symptomen (Gangschwierigkeiten, Apathie) der Höhenkrankheit sollte ein sofortiger Abstieg durchgeführt werden. Ist ein Abstieg mit Anstrengungen für den Betroffenen verbunden, muss der Patient wenn irgendwie möglich abtransportiert (getragen) werden, denn körperliche Aktivität kann das Krankheitsbild bedrohlich verstärken. Auf Kälteschutz achten! MASSNAHMEN BEI AKUTER HÖHENKRANKHEIT

Rasttag

eventuell vorübergehender Abstieg

Vermeiden von größeren Anstrengungen

Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen

Dexamethason


2. HÖHENLUNGENÖDEM

Das Höhenlungenödem (HLÖ) kommt vornehmlich in Höhen zwischen 2500 und 6000 m vor. Das bevorzugte nächtliche Auftreten des Lungenödems dürfte auf das schlafbedingt zusätzlich verringerte Sauerstoffangebot zurückzuführen sein.Bei allen Personen erhöht sich in Höhen ab etwa 3.500 m der Druck im arteriellen Teil des Lungenkreislauf. Die Druckerhöhung führt darauf hin zum Übertritt von Blutplasma durch die geschädigte Membran in die Lungenbläschen. Die Sauerstoffaufnahme wird so behindert, dass es dann zur Atemnot kommt. Im Vorfeld des Höhenlungenödems können typische Symptome der akuten Bergkrankheit auftreten, das Vorstadium eines Lungenödems kann aber auch ziemlich uncharakteristisch verlaufen: Unverhältnismäßige Müdigkeit, Atemnot anfangs bei Anstrengungen und dann in Ruhe sowie trockener Husten. Das auffälligste Symptom für ein unmittelbar bevorstehendes oder bereits beginnendes Lungenödems ist aber ein plötzlicher Leistungsabfall: Ein bisher leistungsfähiger Bergsteiger benötigt plötzlich eine zwei- oder dreifach längere Gehzeit als seine Partner, muss häufig rasten und erholt sich bei diesen Pausen kaum.  

Symptome Höhenlungenödem (HLÖ)

Plötzlicher Leistungsabfall Atemnot Pulsanstieg Blauverfärbung der Lippen Husten Rasselgeräusche beim Atmen Fieber Die in der Praxis wichtigsten Symptome eines Lungenödems sind also nicht Rasselgeräusche beim Atmen, sondern plötzlicher Leistungsabfall, Atemnot und Herzrasen. Wenn ein Patient mit einem Lungenödem rechtzeitig und rasch in tiefere Lagen gebracht wird, kann sehr schnell völlige Beschwerdefreiheit auftreten. Ein Höhenlungenödem ist bei rascher und richtiger Therapie in kurzer Zeit vollständig reversibel, kann aber unbehandelt in weniger als 24 Stunden zum Tod führen. Therapie des Höhenlungenödems Abtransport Sauerstoff (anfangs hohe Flussrate, später 2 bis 4 Liter / Minute) Nifedipin (Adalat) retard 20 mg alle 6 Stunden Dexamethason initial mindestens 8 mg, dann alle 6 Stunden 4 mg Überdrucksack Kälteschutz und Ruhe


3. HÖHENHIRNÖDEM

Das häufig tödliche Höhengehirnödem, stellt eine gefährliche neurologische Störung dar. Im Vergleich zum Höhenlungenödem tritt das Höhenhirnödem sehr viel weniger häufig und sehr selten in Höhen unter 5.000 m auf. Ursache scheint die durch die Hypoxie gesteigerte Hirndurchblutung zu sein. Ein allgemeines Ödem erhöht den Hirndruck. Bei jeder Form von Höhenbeschwerden ist immer ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Gang- und Standunsicherheiten zu legen: Es ist das wichtigste Alarmzeichen für den Übergang von Symptomen der akuten Bergkrankheit zum lebensbedrohlichen Höhenhirnödem.

Symptome des Höhenhirnödems

Gangstörungen bis Gehunfähigkeit

Oft schwerste, medikamentenresistente Kopfschmerzen

Übelkeit, Erbrechen, Schwindel

Desorientiertheit

Sehstörungen

Bewusstseinsstörungen, Halluzinationen

Koma

Therapie des Höhenhirnödems

8 mg Dexamethason oral, besser Dexamethason Fertigpritze i.m. (z.B Dexamethason 100 mg oder Soludecortin 250 mg)

Weiter alle 6h Dexamethason 4mg

Sauerstoffgabe oder Überdrucksack

schnellstmöglicher Abtransport um 500-1000 Höhenmeter

Oberkörper hoch lagern, Kälteschutz

Beim Höhenlungen- und -hirnödem ist ein sofortiger Abtransport und Kälteschutz nötig. Selbst geringe körperliche Anstrengungen erhöhen den Schweregrad. Ähnliches gilt für Kältestress. Bei rechtzeitig erkanntem Höhenlungenödem führt ein sofortiger Abtransport, wenn noch keine Komplikationen aufgetreten sind, oft innerhalb weniger Stunden zur raschen Besserung der Symptome. Immer sollte der Oberkörper aufgerichtet werden, da dies den Druck in der Lunge senkt (Tragen des Patienten auf dem Rücken eines Trägers). Dabei muss auch immer ein höhenerfahrener Bergsteiger mitabsteigen, nie darf man den Höhenkranken nur mit einem Träger absteigen lassen. Wie weit muss nun abgestiegen bzw. abtransportiert werden? Möglichst sollte bis zu jener Höhe abgestiegen werden, auf welcher der Patient zuvor eine Nacht beschwerdefrei verbracht hat. Oft ist es aber so, dass bereits ein Abstieg von 400-500 Höhenmeter eine deutliche Verbesserung der Symptome mit sich bringt. Ein Abtransport darf nur bei extremer Gefährdung aufgeschoben werden.

Ein abends erkrankter Patient kann am nächsten Morgen bereits bewusstlos oder tot sein. Man darf nicht auf Rettung von außen warten. Bereits etliche an Höhenlungen- und -gehirnödem erkrankte Personen sind beim tagelangen Warten auf den angeforderten Helikopter verstorben und hätten durch raschen terrestrischen Abtransport in tiefere Lagen gerettet werden können.

Wann darf wieder aufgestiegen werden?

Wenn die Symptome einer Höhenkrankheit nach Abstieg bzw. Abtransport völlig verschwinden, ist ein langsamer Wiederaufstieg meist schon nach kurzer Erholung möglich. Symptomfreiheit bedeutet ja, dass man jetzt auf dieser Höhe akklimatisiert ist. Nach einem Höhenhirnödem sollte man nicht wieder aufsteigen. Ein Wiederaufstieg ist nur nach voller Erholung und bei allerbester Gesundheit möglich. 


Der Artikel beinhaltet Textpassagen aus dem Buch Trekking & Expeditionsbergsteigen der Autoren: Hochholzer T./Burtscher M.


Weiterführende Literatur:

• Hochholzer T./Burtscher M.: Trekking&Expeditionsbergsteigen. Panico Verlag, Köngen 2011

• Berghold F./Gieseler U./Schaffert W.: Handbuch der Trekking- und Expeditsmedizin. Internationale Lehrgänge für Alpin- und Höhenmedizin. Kaprun 2015

• Lämmle T.: Höhe und Bergsteigen – Die taktischen Grundregeln des Höhenbergsteigens. DAV Summit Club, München 2010

• Zink R.: Ärztlicher Rat für Bergsteiger. Thieme, Stuttgart 1978 (Ein älteres Buch, verständlich und lesenswert)

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