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Der Vorreiter

Text und Fotos Andi Kern

Andi Heckmair ist gentechnisch schwer ­belastet. Großvater Bergführer. Vater Bergführer. Der Anderl war seit seiner Erstbesteigung der Eiger-„Mordwand“ anno ’38 noch dazu eine weltberühmte Vertikallegende. Klar also, dass auch Sohn Andi Bergführer wurde. Und wie sein Erzeuger ein Zweiradverrückter. „Mein Vater ist 1932, um den Djebel Toubkal zu ­besteigen, von daheim nach Marokko geradelt. Mit einem Gang bedeutete das: den Oberalppass hochschieben. Zwei Tage lang ...“, erzählt der Ur-Oberstdorfer und lacht.

Per Bergrad von Oberstdorf an den Gardasee – das war die Idee!

Wie der Anderl, so der Andi: Bergführer. Doch der Sohn kam durch Zufall – oder ­Schicksal – zum Mountainbike: Nach einem ­Lawinenunfall in den Siebzigerjahren hätte er fast ein Bein weniger gehabt. Er kam zwar um Haaresbreite davon, wusste aber: Mit Skifahren und Klettern ist Schluss! Eher suboptimal für einen Berufsbergführer. Was also tun? Andi setzte sich aufs Fahrrad. Hakte fast alle Rennradpässe der Alpen ab – um 1985 nach einem Rennradunfall wieder im Krankenhaus zu ­landen. Er erinnert sich: „Hier fiel mir das Buch „Saumpfade – Traumpfade“ in die Hand, in dem historische Übergänge von Händlern, Handwerkern und Schmugglern vergangener Tage beschrieben waren. Zur gleichen Zeit kamen die ersten Mountainbikes aus den USA nach Deutschland. Per Bergrad von Oberstdorf an den Gardasee – das war die Idee!“




Andi Heckmair lachend Wolfgang Renner schiebt das Bike Andi Heckmair und Wolfgang Renner auf der Heckmair-Route

„Ötzi war zu Fuß unterwegs, Hannibal mit Elefanten, Paulcke mit Ski – aber eben keiner mit dem Mountainbike. Also fing ich an, nach einer machbaren Route über die Alpen zu suchen.“ Andi Heckmair, der Vater der Transalp, erzählt.


In den nächsten Jahren tüftelte er eine logische Route aus, probierte und verwarf jede Menge Übergänge gen ­Italien. Seine Traumroute sollte Andis Credo des „by fair means“ gehorchen: Sie sollte vor der eigenen Haustüre ­starten und Pässe mit Autoverkehr möglichst meiden. Zudem wollte er beim Passübergang nur maximal zehn ­Prozent der Gesamtfahrtzeit schieben oder tragen müssen. Ziel sollte der Bootshafen von Riva sein. Sein fertiges „Kunstwerk“ schließlich erfüllte bis auf den asphaltierten Passo di Gavia – die einzig logische Schwachstelle ­zwischen Ortler und Adamello – die Heckmair’schen ­Anforderungen.

Eines schönen Morgens im August 1990 ging es dann ­endlich daheim in Oberstdorf los. Mit dabei: Wolfgang ­Renner, seines Zeichens Chef der Bikefirma CENTURION und ex-Bahnrad-Weltmeister Gerhard Strittmatter. „Meine zwei Freunde waren natürlich vom radfahrerischen Können her ganz andere Kaliber als ich“, erinnert er sich. „Aber ich wusste: Die können noch so schnell fahren wie sie wollen – an jeder Abzweigung müssen sie auf mich warten. Weil ich der einzige war, der den Weg kannte.“

Heckmairs Weg führte die drei über die schmale Leiterbrücke am Schrofenpass (1667 m) zum Arlberg und über das Rauhe Joch (1918 m) nach Gargellen. Anderntags ­trugen sie ihre himalyaerprobten Centurion-Starrbikes das fies-steile Schlappiner Joch (2203 m) hinauf, zirkelten ­vorsichtig hinab nach Klosters und erreichten über den ­uralten Saumpfad am Scaletta-Pass (2606 m) das Bündnerdorf S-champf mit seinen schönen Sgraffito-Malereien. Tags darauf wartete der höchste Punkt der Tour, der 2694 Meter hohe Passo Chaschauna – das Tor ins Zollfrei-Paradies ­Livigno. Aber die drei Freunde hatten weder Shopping-Muße noch Platz im Deuter-Rucksack – sie wollten schnellstens den einzigen Asphaltpass der Tour, den Gaviapass (2621 m), hinter sich bringen. Um danach schnurstracks ­weiter Richtung Gardasee zu fahren. Doch mitten im Herz der Adamellogruppe wartete noch der Scharf­richter dieser Tour: der Passo di Campo.

Mit „nur“ 2288 ­Metern Seehöhe keine große Herausforderung, möchte man meinen. Aber der alte Militärsteig ist derart steil und baufällig, dass die ­Alpencrosser gut zwei Stunden hoch und nochmals eine Stunde flach zur Passhöhe schieben mussten.

Andi erinnert sich: „Die Abfahrt war so steil, dass sogar ein Radprofi wie Wolfgang aus dem Sattel gezwungen wurde. Alle Mühe hatte aber ein Ende, als wir den Lago di Bissina erreichten. Wir fielen wie die Vandalen über die Pasta Askata im Ristorante her. Der Wirt hat sich den Tag, als die verrückten Radler kamen, ­sicher im Kalender angestrichen.“ Am letzten Tag ihres Abenteuers mitten in Europas kämpften sich Andi und seine Spezis quasi durch den Hintereingang hoch zur vielleicht berühmtesten Mountainbikestrecke des ­Planeten – dem Tremalzo. „Gebannt blieben wir am Scheiteltunnel stehen. Vor uns, 1800 Meter tiefer, glänzte der Gardasee in der Sonne – das Ziel unserer Reise!“ Ein Moment, den der Andi nie vergessen wird. So wie das erste Weizen am Hafen von Riva.

Nach sechs Etappen, zehn Pässen, 420 Kilometern und gut 11.000 Höhenmetern hatten sie es geschafft: Die erste vollständige Alpenüberquerung mit dem Mountainbike war ­gelungen! Als das Fachmagazin BIKE Wind von dieser neuen Art von Mountainbiketour bekam und im Jahr darauf eine Reportage veröffent­liche, später dann auch der STERN, kam die ­Lawine ins Rollen. „Nur eben ohne mich“, sagt der heute 78-Jährige und seine lustigen Augen lachen wie die eines Schulbuben über einen ­erfolgreichen Streich. „Ich machte Alpenüberquerungen nicht wegen der Kohle, sondern rein aus Spaß. Und nur mit Leuten, die ich kannte.“ Am liebsten mit Wolfgang Renner, mit dem er die Alpen überquert hatte, sich über den 5416 Meter hohen „Donnerpass“ Thorong La in Nepal gekämpft hatte. Und mit dem er von Lhasa nach Kathmandu geradelt war. Mit TOP MOUNTAIN TOURS können auch Sie das Abenteuer Tibet by Bike erleben – an drei ­Terminen 2018. Zwar nicht von Andi geguidet, dafür bedeutend komfortabler und weniger holprig als vor 30 Jahren.

Apropos geguidet: Auch wenn der heute 78-Jährige „seine“ Heckmair-Route nicht mehr führt – den humorvollen Menschen und begnadeten Geschichtenerzähler Andi Heckmair können Sie bei TOP MOUNTAIN TOURS an zwei Terminen 2018 kennenlernen: auf der Bike- und Wanderwoche zu den sechs „MMM Messner Mountain Museen“ im Juni. Und bei dem ­E-Bike-Wochenende rund um Oberstdorf im Juli. Egal, ob 1.000 Kilometer durch Tibet, auf der Heckmair-Route an den Lago oder mit dem E-Bike rund um Oberstdorf: „Nur was du selbst erlebst, zählt!“


>> Auf den Spuren von Andi Heckmair - Die "Original-Heckmair-Route" - Von Oberstdorf zum Gardasee

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