ÜBERSICHT

Etwas Physik und Physiologie für Höhenbergsteiger

Dr. Thomas Hochholzer | Dr. Karl Flock



Graphik Sauerstoffteildruck

Abnahme des atmosphärischen Luftdrucks, des Sauerstoffteildrucks in der Einatmungsluft und des alveolären Sauerstoffteildrucks mit steigender Höhe.

Sauerstoffpartialdruck


DER SAUERSTOFF, DEN DER KÖRPER ZUR LEISTUNGSGEWINNUNG BENÖTIGT, wird mit Aufstieg in die Höhe weniger. Aber nicht die Sauerstoffkonzentration nimmt ab – diese bleibt bis in Höhen von ca. 80-90 km gleich hoch – sondern der Sauerstoffpartialdruck nimmt ab. Dieser Sauerstoffpartialdruck ist abhängig vom Luftdruck. Am anschaulichsten kann man sich den Luftdruck als Säule vorstellen, die auf einem Menschen in Meereshöhe (NN = Normalnull) mit einem Durchschnittsdruck von 760 mm Hg aufliegt. Der Luftdruck setzt sich aus einzelnen Gasteildrucken (Partialdrücken) Stickstoff, Sauerstoff und Restgasen zusammen. So entsprechen die 21 % Sauerstoffkonzentration des Gesamtluftdrucks von 760 mm Hg auf NN einem Sauerstoffpartialdruck von 159 mm Hg. Diese Säulenlast – also der Luftdruck – nimmt mit zunehmender Höhe ab, parallel dazu auch der Sauerstoffteildruck. Das bedeutet für uns Menschen, dass der Druck, mit dem der Sauerstoff in unsere Lungen gepresst wird, geringer und damit auch das Sauerstoffangebot für den Körper weniger wird. Diese Veränderung zwingt den Körper in der Höhe zur Reaktion. Der sinkende Sauerstoffteilldruck (abgekürzt pO2) ist somit die wichtigste Ursache für Veränderungen der Leistungsfähigkeit und für die Höhenerkrankungen. So sinkt der Sauerstoffteildruck z.B. auf dem Mt. Blanc (4807 m) nicht ganz auf die Hälfte und auf dem Mt. Everest (8849 m) auf etwa ein Drittel des Normaldruckes. Und bereits auf der Zugspitze ist der Sauerstoffpartialdruck um etwa 1/3 erniedrigt und damit bemerkt man auch schon dort eine deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit.



Tiflisi Altstadt

Mount Everest 8849 m – Blick vom Basecamp zum Gipfel.

Höhe in unterschiedlichen Breitenlagen


LUFTDRUCK UND SAUERSTOFFTEILDRUCK SIND ABER NEBEN DER HÖHE AUCH VON DER TEMPERATUR UND DER GEOGRAPHISCHEN BREITE ABHÄNGIG. Berge wie der Mt. McKinley, die am Polarkreis liegen, haben einen geringeren Sauerstoffteildruck als gleich hohe Berge in Äquatornähe. Ursache dafür ist eine durch die Erdrotation geringere Atmosphärenhöhe an den Polen. Dies würde auch bedeuten, wenn der Mt. Everest in Polnähe läge, wäre er für uns Menschen vermutlich nicht besteigbar. Der Mt. McKinley (6195 m) entspricht somit rechnerisch in Bezug auf den Sauerstoffteildruck einem niedrigen 7000er, der Mt. Vinson (4897 m) in der Antarktis einem niedrigen 6000er. Auch die jeweiligen Wetter- und Temperaturverhältnisse beeinflussen Luftdruck und damit den Sauerstoffteildruck: Tiefdrucklagen und tiefe Temperaturen vermindern weiter den Sauerstoffteildruck. Somit wird auch im Winter mit entsprechend tiefer Temperatur oder bei Schlechtwetterlagen der Gipfel des Mt. Everest noch mehr zum Grenzpunkt menschlichen Lebens oder machen ihn sogar unbesteigbar. Der Jetstrom (ein hoher Wind bedingt durch die Erdrotation) sinkt im Winter aus größeren Höhen (um die 10000 m) auf die Gipfel der höchsten Berge ab und senkt damit den Luftdruck weiter.

Verteilung der Gase


IN DEN LUNGENBLÄSCHEN HERRSCHT BEI GLEICHEM GESAMTDRUCK EINE ANDERE VERTEILUNG DER GASE ALS IN DER EINATMUNGSLUFT. Hier ist der Sauerstoffteildruck, auch unter Normalbedingungen, um ca. ein Drittel geringer als in der Außenluft und sinkt auf etwa 106 mm Hg. Die geringere Sauerstoffkonzentration in den Lungenbläschen erklärt sich dadurch, dass die Luft in der Lunge ein Gemisch aus »frischer« Einatmungsluft und »verbrauchter« Luft aus dem Stoffwechsel besteht.



Höhenlagen …


ZWISCHEN 0 UND ETWA 1200 M LIEGT DIE SOGENANNTE INDIFFERENZZONE, in der die körperliche Leistungsfähigkeit relativ uneingeschränkt vorhanden ist und keine besonderen Reaktionen des Organismus auf die Höhe zu beobachten sind. Bereits ab etwa 1200-1500 m (Reizschwelle) reagiert der menschliche Körper mit Pulserhöhungen auf die Höhe. Schon in der „Großen Höhe“ von 1500 - 3500 m kann es zu ernsten Störungen der Gesundheit kommen. Nach einer angemessenen Anpassungszeit ist jedoch eine gute Kompensation möglich. Die Leistungsfähigkeit ist durch den geringeren Sauerstoffteildruck erniedrigt. Um 5300 m liegen die höchsten, dauernd bewohnten Siedlungen in den südamerikanischen Anden (Aconquilca, die dauerhaft bewohnte höchstgelegene Stadt) bzw. die höchstgelegenen Klöster und Einsiedeleien in Tibet.

IN HÖHENLAGEN ÜBER 5300 M kommt es also zu einem stetigen Leistungsabfall, früher oder später würde dann der Tod durch allgemeine Erschöpfung eintreten. Damit ist klar, dass dem menschlichen Organismus in der Höhe auf Dauer eine Grenze gesetzt ist. Höhen ab 7500 m werden als die sog. Todeszone bezeichnet, in der ein Aufenthalt ohne Schäden nur sehr kurze Zeit möglich ist. Berechnungen lassen vermuten, dass die für den Menschen absolut zumutbare Höhe nach bester Akklimatisation nicht viel über der Gipfelhöhe des Mt. Everest liegen dürfte. Die Sauerstoffversorgung der Zellen erreicht in diesen Höhen einen Tiefstwert, der gerade noch auf kurze Zeit menschliches Leben ermöglicht. Menschen, die den Mt. Everest ohne künstlichen Sauerstoff besteigen, bewegen sich somit an der äußersten Grenze der Leistungsfähigkeit des Organismus.

Tiflisi Altstadt

Einteilung der Höhenlagen nach physiologischen Gesichtspunkten

… und wie der Körper reagiert


LANGE WAR DIE LEHRMEINUNG, dass die Vermehrung der roten Blutkörperchen die entscheidende Reaktion des Körpers sei, die das Ersteigen hoher Berge ermöglicht. Heute wissen wir, dass der wichtigste Mechanismus, der uns in der Höhe leistungsfähig erhält, die Veränderungen in der Steuerung der Atmung sind. Je nach der Zeit, die dem Körper zur Anpassung gegeben wird, der individuellen Reaktion und der absolut erreichten Höhenlage kann es dann zur Anpassung, zu Störungen oder zum kontinuierlichen Leistungsverfall kommen.

DREI HAUPTSÄCHLICHE KOMPENSATIONSMECHANISMEN des Körpers auf das verringerte Sauerstoffangebot in der Höhe sind entscheidend, um überhaupt Leistung erbringen zu können: 1) Die Hyperventilation (= gesteigerte Atmung) mit der vermehrten Sauerstoffaufnahme stellt die wichtigste Reaktion dar. 2) Weit dahinter rangieren die verbesserte Sauerstofftransportfähigkeit durch die Erhöhung der roten Blutkörperchen und 3) die erhöhte Sauerstoffausschöpfung in den Zellen.



VERSUCHT MAN DAS PLASTISCH DARZUSTELLEN, so würde ein Bergsteiger durch die Reaktion des Atemzentrums etwa 2000 bis 2500 Höhenmeter gewinnen, durch die Vermehrung der roten Blutkörperchen etwa 500 Meter. Nur sehr grob lässt sich der Gewinn bei den Anpassungsvorgängen durch die erhöhte Sauerstoffausschöpfung einschätzen, er dürfte zwischen 500 und 1000 Meter liegen. Diese Reaktion bedarf wohl der längsten Anpassungszeit.

AM BESTEN kann man sich die Reaktionen des Körpers auf das mangelnde Sauerstoffangebot (besser: den gesunkenen Sauerstoffpartialdruck) bei akuten Vorgängen klar machen: Würde in einem Flugzeug auf etwa 10000 m Höhe ein Druckabfall durch ein Leck entstehen, bliebe dem Passagier ohne Sauerstoffmaske nur eine Minute Zeit, bis er das Bewusstsein verliert.

Der Artikel beinhaltet Textpassagen aus dem Buch Trekking & Expeditionsbergsteigen der Autoren: Hochholzer T./Burtscher M.


Porträt Dr. Thomas Hochholzer

Dr. Thomas Hochholzer, geboren 1958 in Pfarrkirchen, lebt und arbeitet seit 1997 in Innsbruck in einer orthopädisch-sporttraumatologischen Praxis. Nach dem Studium der Medizin in Regensburg und München fand er für sich die optimale Kombination von Sport und Medizin bereits mit seiner ersten Stelle an der Sporttraumatologie der TU Müchen. Die Promotion erfolgte über Höhenmedizin - ein Thema, das ihn immer fasziniert hat. Erste Erfahrungen als Expeditionsmediziner konnte er schon während des Studiums sammeln (Shivling in Indien, DAV Trainingsexpedition), weitere Bergfahrten führten nach Neuguinea, Alaska, Ostafrika, Nepal, Tibet, Argentinien und Patagonien.1988 stand er auf dem Gipfel der Shisha Pagma. In den letzten zwanzig Jahren zahlreiche Veröffentlichungen mit Themen der Alpinmedizin. Thomas Hochholzer ist verheiratet und hat drei alpinbegeisterte Kinder. Die Fitness für weitere Unternehmungen holt er sich bei Dauerläufen und Skitouren in den Tiroler Bergen.


Weiterführende Literatur:

• Hochholzer T./Burtscher M.: Trekking & Expeditionsbergsteigen. Panico Verlag, Köngen, 2011

• Berghold F./Gieseler U./Schaffert W.: Handbuch der Trekking- und Expeditionsmedizin. Internationale Lehrgänge für Alpin- und Höhenmedizin. Kaprun 2015

• Lämmle T.: Höhe und Bergsteigen – Die taktischen Grundregeln des Höhenbergsteigens. DAV Summit Club, München 2010

• Zink R.: Ärztlicher Rat für Bergsteiger. Thieme, Stuttgart, 1978 (Ein älteres Buch, verständlich geschrieben und sehr lesenswert, ev. antiquarisch)

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