Editorial Günther Härter
Liebe Bergfreunde, derzeit durchleben wir eine für uns bislang ungewohnte Phase. Einiges hat sich verändert, vieles ...
NEPAL IST EINE WELT DER KONTRASTE für Kulturinteressierte, Wanderer, Extrembergsteiger, Entdecker und Sinnsucher. Das ehemals einzige hinduistische Königreich am südlichen Rand Tibets, in dem der historische Buddha 563 v. Chr. das Licht der Welt erblickte, wirkt wie eine Oase der Spiritualität, ein paradiesischer Kosmos. Auf engstem Raum drängen sich die Klima- und Vegetationszonen der Erde, vom Dschungel der heißfeuchten Tiefebene mit Tigern und Krokodilen, bis hinauf zu den eisigen Gipfeln der Achttausender, mit Schneeleoparden, Blauschafen und manchmal einem Schneemenschen namens „Yeti“. Wer träumt nicht davon, einmal den höchsten Berg der Erde, Sagarmatha, den „Himmelskönig“, mit eigenen Augen zu sehen? Diejenigen, die schon da waren, erinnern sich an gleißende Eisgipfel, sternklare Zeltnächte an der „Straße der acht Achttausender“, spektakuläre Gebirgspässe und luftig schwankende, mit bunten Gebetsfahnen geschmückte Hängebrücken. Vielleicht mundete in einem hochgelegenen buddhistischen Bergklöster ein wärmender Buttertee oder in einem ursprünglichen Dorf mit seinen gemütlichen Wirtsstuben, köstlicher Reis und Linsen, das Nationalgericht „Dal Bhat“, und dazu ein kühles Bier der Marke „Everest“.
Zu reisen, neue Erfahrungen zu machen, lernen, das bedeutet Leben. Die Welt ist groß, man kann nicht alles von ihr sehen, nicht einmal vom Gipfel des Mt. Everest aus.
[Tenzing Norgay, Erstbesteiger des Mt. Everest]
SIEBEN UNESCO-WELTERBE-STÄTTEN mit den buddhistischen Stupas von Swayambhunath und Bodnath, den Hindu-Tempeln von Pashupatinath und Changu Narayan, und vor allen Dingen mit drei einzigartigen Königsstädten, bereichern das Kathmandutal. Mit ihren schmalen mittelalterlichen Gassen, quirligen Märkten, herrschaftlichen Palästen, Pagodentempeln und goldenen Schreinen im Duft stetig glimmender Räucherstäbchen sowie tausenden Göttern zum Anfassen, wirken sie wie lebendige Museen. Die „Puja“, das Ritual zur Verehrung der Gottheiten vor dem eigenen Hausaltar oder in den zahlreichen Tempeln, ist fester Bestandteil des Alltags. Frühmorgens und auch am frühen Abend sitze ich sehr gerne auf dem Stufenfundament eines Pagodentempels und beobachte das geschäftige Treiben der Menschen. Gläubige jeden Alters drängen sich in der Menschenschlange vor den Heiligtümern. Frauen in ihren bunten „Saris“ aus Baumwolle oder Seide, halten blankgeputzte Messingteller in ihren Händen. Frische Blumenblüten, Weihrauch, Sindur (zinnoberrotes Pulver) und Reis, Obst oder auch Kekse liegen darauf zur Opferung bereit. Das Gemurmel von Gebetsmantras und zartes Glockengebimmel ziehen über den Platz, während sich der eigentümliche Geruch der vielen Butterlampen meiner Nase bemächtigt. Ich fühle mich als „Zeitreisender“ und es berührt mich immer wieder aufs Neue, mit diesen gläubigen Menschen für eine wohltuende Weile die Seele zu teilen. Schließen wir für einen Moment die Augen. Ja, es sind in erster Linie die fröhlichen Gesichter der Menschen in Nepal, die im Gedächtnis bleiben. Emphatische Begegnungen hinterlassen Spuren in uns und leben in angenehmer Erinnerung weiter. Verzaubert von der unbeschreiblichen Gastfreundschaft, einer natürlichen Heiterkeit, verbunden mit dem unnachahmlichen Lächeln der Nepalesen, ist die Sehnsucht nach einer neuerlichen Verabredung immer wieder präsent. Lassen Sie uns in Gedanken vorausreisen in dieses legendäre Land und bei unserer nächsten Reise selbst hinterher kommen.
FLINKE, FALTIGE HÄNDE führen den kleinen „broom-broom“, einen Naturfaserbesen, virtuos über den staubigen Stampflehmboden der mit Stroh überdachten Terrasse einer Einraumhütte mit offener Feuerstelle. Langsam richtet eine ältere Frau ihren tief gebeugten Rücken gerade, um den am Gartenzaun bemerkten Fremden zu begrüßen. Zahnlücken zwischen den Schneidezähnen machen das offene Lachen in ihrem gegerbten Gesicht besonders sympathisch. Das einfache Begrüßungswort „Namasté“ reicht schon aus, um der freundlichen Einladung ebenso herzlich zu entgegnen. Dieser angenehme Augenblick einer Begegnung in Ruhe und Einfachheit, diese Magie des unvoreingenommenen offenen Wesens, gehört zu den prägenden Erlebnissen meines ersten Aufenthalts in Nepal. Traditionell zubereiteter schwarzer Tee mit frischer Milch, reichlich Zucker und Gewürzen wie Zimt, Kardamom, Nelken und Ingwer, wird dem Gast im Kreis der Familie siedend heiß serviert. Zu meinen ersten kulinarischen Erfahrungen zählt neben des anregend aromatischen Geschmacks des Nationalgetränks „Chiya“ eine schmerzlich verbrannte Zungenspitze. Der Tee indes symbolisiert Freundschaft, Verehrung und Glück. Was könnte besser heilen? Die Einheimischen interessieren sich für die Fremdlinge nicht ganz uneigennützig und freuen sich über Gelegenheiten, ihre angeborene Neugierde zu befriedigen. Fragen nach dem Woher, Wohin und dem persönlichen Befinden reihen sich aneinander und sind schlicht Tradition. In ländlicheren Regionen, in den familiär geführten Lodges auf den Trekkingrouten, erlebt man immer noch dieses spontane, freundliche und kollektive Miteinander Einheimischer und Reisender, im Unterschied zur mittlerweile hektisch pulsierenden Hauptstadt Kathmandu, aber auch zum gehäuft individualisierten und oft egozentrierten Leben in unseren Breiten.
DAS „OFFENE HAUS“ KONTAKTFREUDIGER BEWOHNER, die den Gast zu Speis und Trank einladen, lockt in den sechziger- und siebziger Jahren die Hippies in Scharen an. In farbenfroher Kleidung, bester Laune und ungetrübtem Optimismus, gewinnen sie schnell die Sympathien der Einheimischen. Neben Goa in Indien ist Pokhara, die zweitgrößte Stadt Nepals, malerisch am Phewa-See gelegen, eines der begehrtesten Ziele der „Blumenkinder“. In der berühmten Freak-Street in Kathmandu reihen sich zudem von der Regierung betriebene Haschisch- und Marihuana-Läden aneinander, die den "Stoff" zu erschwinglichen Preisen legal anbieten. Auf Druck der westlichen Welt wird 1973 jedoch ein Verkaufsverbot erlassen. Immerhin gibt es noch immer einen Tag im Jahr, an dem der Drogenkonsum gestattet wird. Es ist der Geburtstag Shivas, des wichtigsten hinduistischen Gottes, dessen Name „günstig, vielversprechend“ bedeutet. Am Pashupati-Tempel in Kathmandu versammeln sich zehntausende Hindu-Gläubige zum Shivaratri-Fest und beten und singen die Nacht hindurch. Angeführt von den teils nackten, mit Asche eingeriebenen „Sadhus“ (Heiligen Männern) mit ihren überlangen Haarzöpfen, konsumiert man reichlich Haschisch, um die spirituelle Energie zu steigern und den Göttern besonders nahe zu kommen. Aktuell gibt es Bestrebungen im Parlament, den Anbau im „Mutterland des Hanfes“ wieder zu erlauben, da es Devisen einbringen und das Einkommen der Not leidenden Bauern verbessern soll.
Nepal ist kein Paradies, aber paradiesisch schön!
ABSEITS DER QUIRLIGEN HAUPTSTADT wandere ich mit einem Freund durch eine, vom Volksstamm der Tamang bewohnten und vom Tourismus relativ unberührte, vegetationsreiche Hügellandschaft im Südosten des Kathmandutales. Unvermittelt, in einer beunruhigend eruptiven Weise, erfassen peinvolle Bauchschmerzen seinen sportlichen Körper. Rettung naht durch den herbeigerufenen „Jhankri“, dem hoch angesehenen Dorfschamanen, der mit den Utensilien seines prall gefüllten kleinen Stoffbeutels routiniert ein Heilungsritual vollzieht. Feinfühlig lässt er schwarze Steine, kleine Knöchelchen einer Fledermaus, in der Tamang-Sprache „phanang“ (Medizinvogel) genannt, über den wehen Bauch kreisen. Penetrant nach Schwefel riechendes Räucherwerk ist entzündet und nebelt den von Krämpfen geschüttelten Patienten ein. In christlichen Gefilden gilt der Schwefel als „Gestank des Teufels“, im Himalaya jedoch wird der „Gakhadu“ genannte Räucherstoff, wie schon in der Antike üblich, als heilkräftiger Weihrauch hoch geschätzt. Im Kreis mittlerweile zahlreich versammelter, unbefangen interessierter Dorfbewohner, verfolge ich mitfühlend und mit gerümpfter Nase das eindrucksvolle Geschehen. In Trance gemurmelte Beschwörungsformeln dramatisieren den kultischen Heilakt. Es dauert nicht allzu lange, bis sich der Kranke, mit der spontanen Rückkehr seiner Kräfte, deutlich besser fühlt. Wir nennen es simpel eine Wunderheilung und sind froh und dem Schamanen dankbar, unsere Tagestour fortsetzen zu können. Um das seelische und körperliche Karma wieder vollständig in Balance zu bringen, findet die Behandlung am Abend ihre Fortsetzung mit warmem Hirsebier im Holzkrug, einem alkoholischen Getränk aus fermentierter Fingerhirse, dem besonders bei den Sherpas beliebten „Tongba“.
DAS GANZE JAHR ÜBER ZELEBRIEREN die unterschiedlichen Volksgruppen ihre traditionellen Feste fröhlich und ausgelassen, inbrünstig betend, ehrfurchtsvoll opfernd, beschwingt tanzend und theatralisch posierend. Es gibt nichts Schöneres, als in so einen Strudel der Festlichkeit hineinzugeraten und sich von den Emotionen mitreißen zu lassen. In der königlichen „Stadt der Frommen“, in Bhaktapur, begehen Mitte April die Newar als „Ureinwohner“ des Kathmandu-Tales, das spektakuläre, einwöchige Neujahrsfest „Bisket-Jatra“, folglich dem 57 v. Chr. beginnenden, nepalesischen Bikram-Samba-Kalender. Ein dreistöckiger Pagodentempel mit dem Kultbild des zornvollen Gottes Bhairava und ein zweiter kleinerer Prozessionswagen mit der Göttin Bhadrakali stehen auf dem Taumadhi-Platz genau auf der Grenze zwischen Ober- und Unterstadt bereit. Ein Tauziehen der mehr als einhundert kräftigen Männer entscheidet darüber, in welchen Stadtteil man sich zuerst bewegen wird. Schwitzend zerren und ziehen sie anschließend die auf riesigen Holzrädern montierten Aufbauten zentimeterweise durch die engen Gassen. Fanfaren ertönen, Musikkapellen legen sich ins Zeug, Gläubige drängen sich mit Hingabe an die Wagen, um ein „Tika“, einen roten Farbpunkt als Segenszeichen auf die Stirn gedrückt, zu erhaschen. Die Auseinandersetzung der gegnerischen Stadteilbewohner nimmt anarchische Ausmaße an. Steine fliegen provokativ hin und her. Hochprozentiger Reisschnaps und andere Stimulanzien heizen die Stimmung zusätzlich an. Dichtgedrängt und mit enthusiastischer Daseinsfreude treiben die Zuschauer am Straßenrand die Akteure immer weiter in die Ekstase. Ein letzter Höhepunkt ist das Aufstellen eines 25 Meter hohen Lingams, eines phallischen Symbols, das den Hauptgott Shiva repräsentiert. Die gegnerischen Gruppen beginnen an Seilen zu ziehen, bis der Pfahl bedrohlich zu schwanken beginnt, bevor er fällt. Spätestens jetzt sollten sich auch die hochgestimmten fremden Besucher in Sicherheit begeben. Am Abend gilt es dann für sie, der Leidenschaft und der Euphorie der Stadtbewohner zu huldigen, und das Erlebte gehörig zu feiern.
DIE GROSSE ARMUT IN NEPAL mit ausufernder Korruption, träger Bürokratie und politischer Querelen, Diskriminierung und Ausbeutung von Minderheiten, beschweren das Alltagsleben. Gleichwohl erlebt man die meisten Menschen in unverbrüchlich heiterer Grundstimmung. Neben einem gewissen Fatalismus, Dinge, so wie sie sind, einfach hinzunehmen, spielt die tief im Glauben verwurzelte Gottergebenheit eine wesentliche Rolle. Hindus und Buddhisten verrichten ihre rituellen Zeremonien oft gemeinsam und sämtliche Götter werden praktischerweise religionsübergreifend ins tägliche Leben einbezogen. Diese bemerkenswerte und weltweit einmalige Symbiose zweier Weltreligionen wirkt als starkes Bindeglied der über einhundert unterschiedlichen Volksgruppen und Stämmen, mit dutzenden eigenständigen Sprachen und Dialekten. Die meisten Landesbewohner sind jedoch indoarischer und tibetischer Herkunft. Als Vielvölkernation aus einem komplexen ethnischen Erbe im Jahre 1769 unter dem Leitgedanken "eine Nation, eine Tracht, eine Sprache" entstanden, ist Nepal aber auch ein Pufferstaat zwischen wechselnden Begehrlichkeiten der beiden Imperien China und Indien. „Mein Königreich ist wie eine Wurzel zwischen zwei Steinen“ formulierte der dritte Malla-König bereits im 18. Jhd. treffend. Dunkle, schwere Stunden in Nepals neuerer Geschichte entflammte ein zehnjähriger Bürgerkrieg der kommunistisch-maoistischen Partei gegen die Monarchie, der offiziell 2006 endete. Deutlich mehr als zehntausend Menschen verloren ihr Leben. Touristen konnten sich jedoch relativ frei bewegen. Als bedeutsame Einnahmequelle wurden sie meist sehr höflich behandelt. Nicht wenige Trekker werden sich allerdings noch genau erinnern, als ihnen Maoisten gegen Quittung Wegezölle, „Revolutionssteuer“ genannt, abverlangten und in Einzelfällen, mehr oder weniger freundlich, auf eine Herausgabe von Ferngläsern oder Fotoapparaten drängten. Streiks legten regelmäßig das ganze Land lahm. Mit großen Schildern „Tourist only“ mussten die Reisebusse markiert werden, um unbehelligt unterwegs sein zu können. Mit Schrecken erinnere ich mich, mit zwei kleinen Kindern im Auto, in eine Straßensperre mit brennenden Reifen geraten zu sein, und an das Geräusch der Einschläge von Ziegelsteinen, die gegen unseren Wagen geschleudert wurden. Mit einem beherzten Wendemanöver konnten wir in einem Hotel Schutz finden, bis sich die Lage etwas beruhigt hatte. Trotz turbulenter, belastender Zeitabschnitte, verblasste die Euphorie für Reisen in den Himalaja-Staat nie. Er ist und bleibt ein Sehnsuchtsziel. Nepal ist kein Paradies, aber paradiesisch schön!
VERBUNDEN MIT DER STARKEN HOFFNUNG, die Lebenssituation der Nepali nachhaltig zu verbessern, trat im September 2015 endlich eine neue, säkulare Verfassung in Kraft. Das Schicksal wollte es, dass im Frühjahr des gleichen Jahres ein verheerendes Erdbeben das bitterarme Entwicklungsland erschütterte. Es verschlimmerte die chronisch unzureichende Lebenssituation der nepalesischen Bevölkerung immens, und wirkt bis heute nach. Ich selbst eilte nach Kathmandu und beteiligte mich an Hilfseinsätzen, die mich das schreckliche Ausmaß des Bebens hautnah erleben ließen. Viele tausende Menschen verloren ihr Leben, hunderttausende ihre Daseinsgrundlage. Der Zugang zu sauberem Wasser, ausgewogener Ernährung, medizinischer Betreuung oder zu Bildungsangeboten ist in vielen Regionen schon unter normalen Umständen defizitär. Der Tourismus als überlebenswichtige Einnahmequelle lag darnieder. Wieder daheim, hörte ich immer wieder die Standardfrage, ob man nach dieser Jahrhundertkatastrophe überhaupt noch nach Nepal reisen könne. Meine Antwort: „Ja, Nepal lebt! Wer das schon so häufig traumatisierte Land unterstützen möchte, tut mit seiner Reise etwas wirklich Gutes.“ Fünf Jahre später, von den Auswirkungen des Erbebens noch immer nicht vollständig erholt, leiden die Menschen in den Jahren 2020/21 an den Konsequenzen der Corona-Krise. Trekkingrouten und Königsstädte sind verwaist. Guides, Träger, Lodgebetreiber, Hotels, Restaurants und Händler darben schon wieder aufgrund Einkommensverlusten und anhaltend prekärer Perspektive. Ich meine, es gibt kein besseres Heilmittel im Leid, als die Anwesenheit und den Zuspruch guter Freunde. Wir werden erwartet - Visit Nepal! „Den Schmerz der anderen muss ich bekämpfen, weil es genauso Schmerz ist wie mein eigener. Die anderen sind fühlende Wesen genau wie ich. Deshalb muss ich zu ihrem Wohle handeln“, betonte der Dalai Lama.
„Wer die Last trägt, weiß wo sie drückt.“ Die Lastenträger Nepals sehen sich seit jeher mit der Realität dieses Spruches konfrontiert, wenn sie ihren schweren Flechtkorb (Doko) unter Mithilfe eines Stirnriemens (Namlo) und eines t-förmigen Pflocks (Tokma), der zum Absetzen des Korbes beim Rasten benutzt wird, über Jahrhunderte alte Gebirgspfade schleppen. Träger verkörpern die Lebensader Nepals, indem sie den Dorfbewohnern notwendige Güter, wie Lebensmittel, Baumaterial oder Haushaltsartikel bringen, die sie auf anderem Wege nicht erhalten könnten. Träger zu sein, ist deshalb in vielen Ländern des Himalajas ein wichtiger Beruf, auch in der Tourismusindustrie.
Wer die Last trägt, weiß wo sie drückt
Ich erinnere mich an eine Trekkingteilnehmerin, die zusammen gekauert am Wegrand saß und bitterlich weinte. Sie verzweifelte beim Anblick des Trägers, der „sklavenähnlich ihr persönliches Gepäckstück schleppen musste“. Ich versuchte ihr zu erklären, dass dieser sympathische Bursche froh sei, seinem Beruf im wahrsten Sinne des Wortes nachgehen zu können. Die Last, die er für Bergwanderer trägt, wiegt nur ein Bruchteil dessen, was er für Einheimische bewegen müsste. Die Tagesetappen sind kürzer und sein Lohn fällt deutlich höher aus. Träger „sein dürfen“ bedeutet oft auch ein berufliches Sprungbrett, wenn sie sozusagen als Praktikanten im nepalesischen Trekkingtourismus Kenntnisse über Routen und den Umgang mit Touristen lernen. Viele stiegen so zum Küchenjungen, Koch oder Sirdar (Guide) auf. Am Ende der Tour waren beide Freunde geworden und verabredeten ein Wiedersehen. In neuerer Zeit sind viele der Träger, überwiegend aus den Volksgruppen der Tamang, Rai und Gurung kommend, gewerkschaftlich organisiert. Sie wissen zunehmend selbstbewusster, dass sie das starke Rückgrat des nepalesischen Trekking- und Bergsteigergeschäftes sind. Expeditionen zu Achttausendern und viele anspruchsvolle Trekkingrouten wären ohne sie überhaupt nicht möglich.
DIE ÜBERRAGENDEN LEISTUNGEN DER SHERPAS als Bergführer und Hochgebirgsträger in den frühen Jahren nepalesischer Himalaya-Expeditionsgeschichte sind legendär. Die sehenswerte, dreiteilige Filmdokumentation „Sherpas – Die wahren Helden am Everest“ würdigt deren Spitzenleistungen. „Sherpa“ ist keine Bezeichnung für Lastenträger, sondern bedeutet "Ost-Volk" in der tibetischen Sprache („shar“ für ost, „pa“ für Volk). Einheimischen Bergsteigern gelang im Januar 2021 mit der ersten Winterbesteigung des 8611 Meter hohen K2 ein historischer Expeditionserfolg. Damit befinden sie sich nun endgültig auf Augenhöhe mit der internationalen Bergsteigerszene. Ich bewundere die vielen engagiert und professionell arbeitenden örtlichen Trekkingführer (Sirdars), an deren Ausbildung ich jahrelang mitwirken konnte. Diese, an Bewegung im Gebirge gewöhnten Naturburschen, verstehen es bestens, unvergleichlich sympathisch und kompetent, ihre Gäste in lockerer und gelöster Atmosphäre zu betreuen. Immer wieder erlebe ich, wie sie deshalb regelrecht „auf Händen getragen“ werden. Nepal zieht seit den sechziger Jahren Trekkingbegeisterte aus aller Welt an und es ist nur zu wünschen, dass die Gelegenheit auch an Ihnen nicht vorbeigeht. Die Auswahl an gemütlichen, aber auch anspruchsvollen Trekkingrouten ist riesengroß. Die beliebtesten verfügen mittlerweile über eine sehr gute Infrastruktur mit behaglichen, einfacheren Lodges, bis hin zu komfortablen, berghüttenähnlichen Übernachtungsmöglichkeiten in Zweibettzimmern mit eigenem Bad und WC. Die Klassiker sind dabei das Komfort-Lodge-Trekking, der Weg durchs Sherpaland hinauf zu den Gletschern des Mt. Everest, sowie die Umrundung des Achttausenders Annapurna durch die tiefste Schlucht der Erde im Kali Gandaki Tal. Oft und gerne erinnere ich mich an ein ganz besonderes Trekkingerlebnis, als ich 1984 - lange vor der offiziellen Öffnung - glücklichen Umständen geschuldet, den 5135 Meter hohen Larkya-Pass überqueren konnte. Es war die erste und vollständige Rundwanderung um den formschönen „Berg der Seele“ den Achttausender Manaslu. Heute zählt sie zu den schönsten Trekkingrouten im gesamten Himalaya und kann mittlerweile sogar ohne Zelt mit Lodgeaufenthalten begangen werden. TOP MOUNTAIN TOURS bietet sie in ausgewogenen Tagesetappen und sogar mit einem Abstecher ins Basislager des Manaslu an. Meine Empfehlung! Denn wer seine Trekkingreise über einen Veranstalter bucht, sollte sehr darauf achten, dass dieser mit einem zuverlässigen Partner vor Ort und erfahrenen Guides zusammenarbeitet, gebirgstauglich ausgestatteten Trägern mit fairer Entlohnung eingeschlossen. Für TOP MOUNTAIN TOURS ist das schon immer selbstverständlicher Standard.
DIE MENSCHEN IN NEPAL pflegen, in auffälligem Kontrast zur oft rauen Lebenswirklichkeit, eine außergewöhnliche Achtsamkeit für die Natur und sind im Alltagsleben bestrebt, mit animistisch-religiösem Empfinden ihre seelische Lebenskraft zu stärken. Alleweil, wenn ich im Land unterwegs bin, in den abgeschiedenen Bergregionen wandere, begegne und spüre ich diese innere Besinnlichkeit, verbunden mit einer würdevollen Haltung und außergewöhnlich feinfühliger Herzlichkeit. „Wer zum ersten Mal nach Nepal reist, kommt meist wegen der Berge, aber hinsichtlich der Menschen kommt man garantiert wieder“, sagt ein nepalesisches Sprichwort. Dort, wo die achttausend Meter hohen „Wohnstätten der Götter“ die Wolkendecke überragen, Spiritualität, Mythen und Legenden das karge Leben bereichern, fühle ich mich immer wieder aufs neue zu den Menschen hingezogen, einen heißen „Chiya“ schlürfend, dem Symbol von Freundschaft und Glück.
© 2021 Text & Fotos Klaus Wanger
Klaus Wanger fasste als junger Bergsteiger Ende der siebziger Jahre, direkt nach seiner allerersten Expedition in Nepal, den spontanen Entschluss, erst gar nicht in die Heimat zurückzukehren. Zweieinhalb Monate genoss er die unvergleichliche Gastfreundschaft der Einheimischen und gewann dabei Freunde fürs Leben. Chronisch sehnsüchtig kehrt er seitdem regelmäßig zurück, als Reiseleiter, Tourscout, Ausbilder einheimischer Trekkingführer und nicht zuletzt, um seinen Freundeskreis zu pflegen. Die vorherrschende Armut von Kindern zu lindern, ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen, ist ihm Herzensangelegenheit. Direkt nach dem verheerenden Erdbeben 2015 half er mit, die akute Not vor Ort zu bessern und dokumentierte den Einsatz nachdrücklich in einem Film. Mit seiner Familie lebte er Ende der neunziger Jahre für längere Zeit in Kathmandu und erlebte die Nepalesen, ihre Kultur und Traditionen hautnah. Nirgendwo empfindet er mehr wohltuende Entschleunigung als im Trekkingland Nepal, dem einzigartigen Welterbe am Fuße des hohen Himalayas, dem Land des Lächelns mit seinen wunderbaren Menschen, geprägt von inspirierender Lebensweisheit buddhistisch-hinduistischer Philosophie. 🕉
WEITERFÜHRENDE LINKS ZUM ENGAGEMENT VON KLAUS WANGER
Dokumentation Erdbeben Nepal 2015
TOP MOUNTAIN TOURS Homepage | Impressum | Magazin als Druckausgabe bestellen | Newsletter bestellen