ÜBERSICHT

Akklimatisation an große Höhen

Dr. Thomas Hochholzer | Dr. Karl Flock

Ama Dablam, Khumbu- Everestgebiet

HÖHENAKKLIMATISATION BEDEUTET die Anpassung des menschlichen Organismus an den erniedrigten Sauerstoffpartialdruck in der Höhe. Oberhalb von 2500 m – 3000 m gilt es die taktischen Regeln des Höhenbergsteigens einzuhalten, um eine gesundheitliche Gefährdung zu verhindern. Schwere Formen der akuten Höhenkrankheit sind mit gut geplantem Aufstiegsschema vermeidbar. Diese Empfehlungen eines Aufstiegs in die Höhe - manche nennen sie die „Gebote der Akklimatisation“ - haben sich aus Erfahrungen bei vielen Expeditionen in den letzten Jahrzehnten etabliert. Sie gelten sowohl für Trekkingtouren als auch beim Anmarsch für Expeditionen.


Damit ist auch klar, dass es in der Akklimatisationstaktik zwischen höhenunerfahrenen Neulingen und Expeditionsbergsteigern keine Unterschiede gibt. Es gibt Spitzenbergsteiger, die in den Alpen alle schweren Touren begangen haben, aber im Himalaya in extremen Höhen immer wieder Schwierigkeiten – sogar mit Höhenlungenödemen – haben. Je weniger Höhenerfahrung man besitzt, desto defensiver sollte man die Tour vom Zeit-Höhenprofil her organisieren. Erfahrene Höhenbergsteiger werden wohl aufgrund ihrer Erfahrung besser und schneller mit ihren eigenen körperlichen Reaktionen auf die Höhenlage umgehen und dementsprechend reagieren, aber dennoch gelten sämtliche Regeln der Höhentaktik auch für sie.


Merkmale eines erfolgreich verlaufenen Akklimatisationsprozesses:

keine Kopfschmerzen

allgemeines Wohlbefinden (guter Schlaf und Appetit, keine Müdigkeit oder Abgeschlagenheit am Tag)

ein lediglich leicht erhöhter (max. 10 Schläge) oder normaler Ruhepuls

vertiefte Atmung in Ruhe und unter Belastung

der Höhenstufe und dem Trainingszustand entsprechende Ausdauerleistungsfähigkeit

genügende Urinausscheidung pro Tag (>1Liter)


1. GESUND ANKOMMEN

Gesund am Berg anzukommen, entscheidet oft über den Erfolg der Tour. Dazu gehört es, den Flug ohne Erkältungssymptome zu überstehen. Nach Untersuchungen haben 50-80% der Trekker in Nepal irgendein Gesundheitsproblem, das sie zumindest vorübergehend schwächt, mindestens jeder sechste wird aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, seine Pläne zu ändern oder gar aufzugeben. Bei sehr exotischen Zielen sollte man sich reise- oder tropenmedizinisch (zB. Malaria) beraten lassen. Auch die ungewohnte Ernährung (Reisedurchfall) kann zu solchen körperlichen Einschränkung führen und somit die Tour bereits zu Beginn gefährden. Ungewaschenes Obst oder Salate sollten vermieden, Trinkwasser behandelt oder abgekocht werden.


2. AKTIVER CONTRA PASSIVER AUFSTIEG

Das Risiko einer höhenbedingten Erkrankung ist bei einem schnellen passiven Aufstieg (Flugzeug, Auto) um ein Vielfaches höher als bei einem langsamen und aktiven Aufstieg zu Fuß. So entwickeln beispielsweise mehr als 80 % der Touristen, die direkt von Kathmandu (1200 m) zum Hotel Everest View auf 3860 m fliegen, eine akute Bergkrankheit. Die beste Präventivmaßnahme ist die Vermeidung derartig schneller Aufstiege.

Am besten schnelle Aufstiege vermeiden.

Hochgelegene Flughäfen in Südamerika (Cusco 3500 m, La Paz 4000 m), in Tibet (Lhasa 3600 m) und in Indien (Leh 3500 m) weisen eine hohe Komplikationsrate bei Touristen auf. Lassen sich diese schnellen Anreisen nicht vermeiden, sollte man sich an diesen Ankunftsorten Zeit lassen und von vornherein ein bis drei Ruhetage mit aktiven Anpassungsmärschen einplanen. Gefährlich können auch die Anfahrten mit Autos über die 5000 m hohen Pässe in Tibet oder Bus- und Zugreisen über die hohenPässe in Südamerika sein.


3. NICHT ZU SCHNELL ZU HOCH

Das entscheidende Kriterium jeder Höhenanpassung ist die Geschwindigkeit mit der ein bestimmter Höhenunterschied überwunden wird. Eine allgemeine Faustregel lautet: In Höhen über 2500 m treten deutlich weniger Höhenbeschwerden auf, wenn die Schlafhöhe um nicht mehr als 400 pro Tag gesteigert wird. Man spricht hier von einer Schlafhöhensteigerung um 400 Höhenmeter. Trotzdem gibt es Menschen, die bei Höhendifferenzen von weniger als 300 m Beschwerden entwickeln und andere, die -wahrscheinlich genetisch bedingt - Aufstiege von mehr als 1000 Höhenmeter vertragen. Eine der Schwierigkeiten beim Trekking ist es, die Tour so zu planen, dass man in etwa diese 400 – höchstens 600 Meter Schlafhöhendifferenz einhalten kann. Häufig wird gegen die strikte Einhaltung der Schlafhöhendifferenz das Argument vorgebracht, dies sei eben wenig praxisnah und damit kaum praktikabel. Bei manchen Touren oder Anmärschen zum Basislager ist es aus geographischen oder organisatorischen Gründe schwer, wenn nicht sogar unmöglich diese Schlafhöhendifferenz einzuhalten. Hier sollte man dann eben mit Ruhetagen und Anpassungsmärschen reagieren, um die Schlafhöhe nicht zu drastisch steigern zu müssen.

Reinhold Messner sagte schon 1980: „Grundsätzlich akklimatisiere ich mich für einen Fünftausender wenigstens eine Woche, für einen Sechstausender zwei Wochen lang, für einen Siebentausender drei Wochen lang, für einen Achttausender vier Wochen lang. Auch für die hohen Achttausender, 8500 m und mehr, empfehle ich eine minimale Akklimatisationszeit von 4 Wochen, sie sollte nicht länger als sechs Wochen dauern.“

Erfahrungen bei zahllosen Expeditionen und Trekkingtouren zeigen, dass Schlafhöhen um 4000 m nach etwa einer Woche erreicht werden sollten. Für 5000 m sind zwei Wochen Akklimatisation optimal. Dies widerspricht nun keineswegs der Aussage von Messner mit einer Woche Akklimatisation für einen Fünftausender, er bezieht es auf eine Gipfelbesteigung und nicht auf die Schlafhöhe.


4. RESERVE- UND RUHETAGE

Schon bei der Planung einer Reise sollte man diese Ruhe- und Reservetage einplanen. Dies bedeutet eine deutliche Reduktion des Stresses, wenn man wegen schlechten Wetters oder medizinischen Problemen einen zeitlichen Spielraum hat und ohne Zeitdruck bei höhenbedingten Beschwerden einen Ruhetag zur Erholung hat. Ruhetage sollte man auch bei Schlafhöhendifferenzen von mehr als 600-1000 m einplanen.

Wann soll man Ruhetage einlegen?

Automatisch bei einer passiven Höhenüberwindung im Bereich über etwa 2800 – 3000 m

1-3 Ruhetage bei Flügen nach Lhasa, Cusco, La Paz und Leh

Bei einem Aufstieg von mehr als 600 m während der Akklimatisationsphase

Bei Kopfschmerzen über 24 Stunden und wenn diese auch unter Einnahme von Naproxen oder Ibuprophen oder Diclophenac nicht nachlassen

Ruhepulserhöhung von mehr als 20 Schlägen



5. HOCH GEHEN, TIEF SCHLAFEN

Bei Ankunft in einem Lager sollte man dieses nicht sofort beziehen, um sich im Zelt oder der Lodge niederzulegen. Nach einer Pause ist es sinnvoll, langsam und ohne Gepäck nochmals 100-300 Höhenmeter aufzusteigen, um erst danach zum Lager zurückzukehren.

Ein Aufstieg über die „Schlafhöhe“ setzt einen zusätzlichen Akklimatisationsreiz und führt vor allem durch die leichte Bewegung zu einer Verstärkung des Atemantriebs, was sich günstig auf die Sauerstoffversorgung und damit das Wohlbefinden auswirkt. Auch an Rasttagen kann man durchaus Akklimatisationsmärsche von einigen hundert Höhenmeter vornehmen.


6. ÜBERANSTRENGUNG VERMEIDEN

Überanstrengung muss gerade in der sensiblen Phase der Akklimatisation unbedingt vermieden werden, sie führt oft zu Symptomen der akuten Bergkrankheit oder sogar zum Höhenlungenödem. Die Ruheherzfrequenz kann man gut als Referenzwert des Akklimatisationszustandes heranziehen. Bergsteiger, deren morgendliche Ruheherzfrequenz um mehr als zehn bis zwanzig Schläge erhöht ist, sollten sich so belasten und verhalten, als wären sie höhenkrank. Zuviel Ausrüstungsgewicht und ein zu schnelles Gehtempo sind in der Anfangsphase der Akklimatisation meist die Ursache für Überanstrengung. Die Intensität einer Belastung ist individuell natürlich sehr verschieden und von Faktoren wie Trainingszustand und Konstitution abhängig. Somit muss in einer Gruppe von Bergsteigern jeder sein eigenes Tempo finden.

Ein amerikanischer Expeditionsbergsteiger der Spitzenklasse sagte einmal, dass „er sich in der Höhe immer chronisch unterlaste“ um sich optimal anzupassen. Eine interessante und absolut zutreffende Feststellung!

Wie kann ich mein Gehtempo kontrollieren?

Atemfrequenz: In leichtem bis mittelschwerem Gelände sollte die Nasenatmung wenigstens bis 5000 m möglich sein. Eine andere Möglichkeit der Kontrolle bietet der Atemrhythmus „ein Schritt für die Einatmung – zwei Schritte für die Ausatmung“.

Puls: Während der Belastung in leichtem bis mittelschwerem Gelände sollte die maximale Pulszahl nicht mehr als etwa 120 Schläge/min betragen (bei einem Ruhepuls eines jungen, trainierten Bergsteigers von etwa 60 Schläge/min)



7. BEI UNWOHLSEIN ABSTEIGEN

Eine Erholung von körperlichen Beschwerden und Erkrankungen wie starker Durchfall oder Erkältungen ist in großen Höhen eingeschränkt. Auch schwere Symptome der Höhenkrankheit lassen sich in großen Höhenlagen nur schwer reduzieren. Nehmen Kopfschmerzen unter medikamentöser Behandlung über Nacht nicht ab oder bestehen zusätzlich Symptome der akuten Höhenkrankheit wie Übelkeit, Erbrechen oder Apathie sollte abgestiegen werden. Oft genügen bereits etwa 500 Höhenmeter um das Befinden deutlich zu verbessern.

Wann soll man absteigen?

starke Kopfschmerzen bereits bei der Ankunft im Lager therapieresistente Kopfschmerzen + weiteres Symptom der akuten Höhenkrankheit keine Besserung auf Ibuprofen/Diclofenac oder Dexamethsason neurologische Symptome wie Gangunsicherheit, starke Teilnahmslosigkeit, verwaschene Sprache starker Leistungsabfall bei Höhenlungenödem oder Höhenhirnödem


8. AUFENTHALT IN EXTREMEN HÖHEN MÖGLICHST KURZ

Oberhalb von 5300m verliert der Körper in Folge des geringen Sauerstoffgehalts unaufhaltsam an Gewicht und Leistungsfähigkeit (auch unter optimalster Ernährung und ausreichender Ruhephasen) und führt unweigerlich zum Tod. Diese sogenannte Höhendeterioration geht umso schneller, je höher man über 5300 m aufsteigt. Auf einerHöhe von 6000 m beträgt die Überlebenszeit noch viele Wochen, auf einer Höhe über 8000m zwischen 48 Stunden und einigen wenigen Tagen. Auch eine vollständige Akklimatisation ist nur bis 5300 m möglich, darüber nur noch teilweise. Basislager sollten daher immer unterhalb 5300 m eingerichtet werden.


9. GENUG TRINKEN

Flüssigkeitsverluste sind in Höhenlagen über 3000 m größer als auf Meeresniveau, in großen Höhen sogar etwa doppelt so hoch. Neben der körperlichen Anstrengung ist in erster Linie die vermehrte Atmung (Hyperventilation) dafür verantwortlich. Zusätzlich verliert der Körper in der Kälte Flüssigkeit, da die Atemluft in den Bronchien mit Wasserdampf gesättigt wird, kalte Luft unter 0 Grad besitzt wenig Wasserdampf. Der tägliche Bedarf bei körperlicher Ausdauerleistung wird mit 3-5 Liter/Tag angegeben, in Höhen über 5000 m ist er nochmals deutlich höher. Der Flüssigkeitshaushalt beeinflusst auch die Entwicklung einer Höhenkrankheit - bei Flüssigkeitsmangel nimmt die Leistungsfähigkeit ab, die Gefahr der körperlichen Überlastung steigt und damit die Entwicklung einer akuten Höhenkrankheit. Darum ist auch bei höhenkranken Bergsteigern die tägliche Harnmenge vermindert. Eine Möglichkeit den Wasserhaushalt zu kontrollieren ist die tägliche Urinausscheidung: Sie sollte mindestens 1 Liter/Tag, besser 1,5 Liter/Tag betragen und der Harn sollte hellgelb sein. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr senkt auch das Risiko anderer Erkrankungen wie Thrombosen, Lungenembolien und Erfrierungen.


10. PARTNER BEOBACHTEN

Alle Gruppenteilnehmer von Expeditionen oder Trekkinggruppen sollten immer wieder daran erinnert werden, sich vom ersten Tag an gegenseitig zu beobachten. Höhenbedingte Probleme werden sehr oft ignoriert oder bewusst verschwiegen. Die Angst, der Gruppe zur Last zu fallen, die Furcht vor dem Abbruch der Tour oder auch vor einem Abstieg treibt Höhenbergsteiger dazu, Frühwarnsymptome der Höhenkrankheit zu negieren.

Auf was sollte man beim Partner achtgeben?

Beobachtet man einen ungewohnten Leistungsabfall?

Rastet jemand plötzlich ungewohnt häufig?

Wirkt jemand apathisch und teilnahmslos?

Fällt auf, dass jemand nach der Tour sofort das Zelt aufsucht und nicht zum Essen erscheint?

Beobachtet man eine plötzliche Trittunsicherheit oder sogar Stürze?

Klagt jemand über wiederkehrende Angstzustände?

Fallen sprachliche Schwierigkeiten auf (verwaschene Sprache, Artikulationsschwierigkeiten)?


Fazit:

Werden derartige Verhaltensauffälligkeiten bei Partnern oder Teilnehmern (s.o.) beobachtet, sollte die betroffene Person auf Symptome der akuten Höhenkrankheit angesprochen und untersucht werden. Es ist meist nicht einfach, einen Betroffenen von der Diagnose „akute Bergkrankheit“ und deren Therapie (Ruhetag, Abstieg) zu überzeugen. Zur Objektivierung und zur Untermauerung könnte man die Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung mit einem Fingerpulsoxymeter heranziehen. Mit diesen batteriebetriebenen Kleingeräten kann die arterielle Sauerstoffsättigung problemlos in kurzer Zeit gemessen werden. Man hat auch ein objektives Argument um den Betroffenen überzeugen zu können.

Ein starkes Abfallen der Sauerstoffsättigung

im Vergleich zu den Werten anderer Tourenteilnehmer in derselben Höhenlage oder im Vergleich zum Vortag ist ein Indiz für eine beginnende akute Höhenkrankheit. Der Führer oder Arzt hat damit handfeste Daten vor sich und weiß, dass ein Handeln nun notwendig ist.



Der Artikel beinhaltet Textpassagen aus dem Buch Trekking & Expeditionsbergsteigen der Autoren: Hochholzer T./Burtscher M.


Weiterführende Literatur:

• Hochholzer T./Burtscher M.: Trekking & Expeditionsbergsteigen. Panico Verlag, Köngen, 2011

• Berghold F./Gieseler U./Schaffert W.: Handbuch der Trekking- und Expeditionsmedizin. Internationale Lehrgänge für Alpin- und Höhenmedizin. Kaprun 2015

• Lämmle T.: Höhe und Bergsteigen – Die taktischen Grundregeln des Höhenbergsteigens. DAV Summit Club, München 2010

• Mees K.: Höhenanpassung. Bruckmann Verlag, Müchen, 2005

• Zink R.: Ärztlicher Rat für Bergsteiger. Thieme, Stuttgart, 1978 (Ein älteres Buch, verständlich geschrieben und sehr lesenswert, ev. antiquarisch)

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