EDITORIAL
Liebe Bergfreunde, als ich Anfang 2009 unser Familienunternehmen TOP MOUNTAIN TOURS gründete, war ich bereits seit ü...
… himmlische Wohnstätte von Engai, einer und einziger Gott der Massai,
aktiver Vulkan mit zwei Kratern, Himmel und Hölle, Anfang und Ende, Leben und Tod …
DER GÖTTLICHE VULKAN leuchtete im Abendlicht in auberginefarbenen Tönen. Licht und Schatten ließen unzählige Furchen und Rinnen, die von seinen Füßen über die steilen Flanken nach oben strebten, hervortreten. Sein Haupt war von weißer Asche bestäubt. Majestätisch, erhaben und eigenwillig sah er aus. An Höhe überragte er die ausgebrannten Vulkankegel des Kraterhochlands nicht, aber er stand allein, abgerückt von den anderen, in den Niederungen des Ostafrikanischen Grabens. Als die Massai vor vielen hundert Jahren vom Norden her, dem Nil folgend, in die weiten Grassteppen Ostafrikas kamen, muss er ihnen gleich aufgefallen sein.
E N G A I
Zu der Zeit als Himmel und Erde noch ein Ganzes bildeten, war Engai ein glücklicher Viehhirte. Doch dann bebte die Erde, der Himmel wurde abgespalten und Engai mit seinen Rindern in den Himmel katapultiert. Wie sollte er nun seine Rinder weiden? Da bat Engai den in der Nähe des Vulkans lebenden Naiteru-Kop sich der Rinder anzunehmen, die er zur Erde abseilen würde. Tatsächlich wurden die Rinder, eines nach dem anderen am Seil herabgelassen. Naiteru-Kop gründete das Volk der Massai, das seit jener Zeit die ehrenvolle Aufgabe hat, die Rinder von Engai zu hüten.
NACH DREI STUNDEN AUFSTIEG landeten wir in einer windgeschützten Vertiefung in den Felsen. Olengarukas Augen leuchteten im Licht unserer Stirnlampen. „Very good“, sagte er und hielt den Daumen hoch. „One hour to the top. Now we rest.“ Er bedeutete uns Platz nehmen, dann rollte er sich auf dem sandigen Boden zusammen und zog das karierte Tuch über seinen Kopf. Wir setzten uns neben unseren Bergführer, die Beine ausgestreckt über die abschüssigen Felsen. Der Wind flatterte in einsamen Böen. Gerade noch hatte ich vor Anstrengung geschwitzt, jetzt spürte ich die kühle Luft an meinen Wangen. Wir drehten die Lampen aus und schauten in die Nacht. Der Himmel war weit, tiefschwarz, mondlos. Millionen von Sternen und Galaxien schauten zu uns herab, ihr Licht klar und hell. Die Stille über der Savanne war groß, so groß, dass ich nur meinen Atem hörte und das sanfte Schnarchen von Olengaruka.
Der Himmel war weit, tiefschwarz, mondlos. Millionen von Sternen und Galaxien schauten zu uns herab …
ÜBER DER STEILEN SCHLUCHT lehnte sich der Berg zurück, der Untergrund wurde flacher und ebenmäßiger. Feine weiße Schwaden stiegen aus einer Spalte im Boden auf. Fumarolen aus dem Vulkan. Olengaruka hauchte geräuschvoll aus, als wollte er uns zeigen, dass Engai dort seinen heißen Atem verströmte. Auf den letzten Metern zum Kraterrand brauste der Wind auf. Der Hang war so steil, dass wir auf allen Vieren vorankrochen, um den harten Böen des Windes zu entkommen. Am östlichen Horizont hatte ein feiner Lichtstrahl die Finsternis durchbrochen und breitete sich nun in den Farben einer lodernden Feuerglut aus. Die schmale Sichel des Mondes hing direkt über dem hellsten Punkt. Zusammengekauert saßen wir unter dem Rand der Caldera und warteten auf die Sonne, die kommen und den Wind, der gehen sollte. Die Sterne verblassten einer nach dem anderen und die weichen Konturen der umliegenden Berge und Höhenzüge tauchten vorsichtig aus der Dunkelheit.
ALS DER ERSTE SONNENSTRAHL den Gipfel berührte, schwebte der Schatten von Ol Doinyo Lengai über dem Hochland. Vorsichtig wagten wir einen Blick über den Kraterrand. Alles war ruhig, nur ein paar Rauchwolken stiegen durch die Schatten des Höllenschlunds auf. Der Einbruchkessel sah aus wie ein Soufflee, das erschöpft in sich zusammengesackt war. Im erstarrten Ascheschlamm am Boden der Caldera schimmerte ein einziger schwarzer Lavapool. Vor dem letzten Ausbruch in 2008 war der Krater über viele Jahre bis zum Rand mit Eruptionsablagerungen gefüllt gewesen. Schornsteinähnliche Türme und kleinere Vulkankegel, aus denen schwarze Lava blubberte und spritzte, ragten heraus. Jetzt waren sie verschwunden.
Wir hatten gehofft, dass der Wind nachlassen würde, sobald die Sonne über den Horizont stieg, und wir auf dem schmalen Trampelpfad um den Krater wandern könnten. Aber jedes Mal, wenn wir uns erhoben, hatten wir Mühe uns aufrecht zu halten. Der Wind tobte in Böen und fegte den feinen Aschestaub über den steilen Abhang des Kraters. Der grüne Krater lag nur ein paar hundert Meter zu unserer Rechten, höchstens eine viertel Stunde über die Gratkante entfernt. Vielleicht könnten wir auf allen Vieren hinüberkriechen? Zu gerne hätte ich die andere Seite gesehen, das andere Reich von Engai, den halbmondförmigen grünen Krater, der für das Leben stand, für die Erde, für den Neuanfang. Ich hatte Geschichten gelesen von einem grünen Paradies, von üppiger Vegetation, einem gurgelnden Bach, Vögeln und Stachelschweinen, die durchs Unterholz grunzten. Olengaruka schüttelte entschieden den Kopf. „Viel zu gefährlich“, meinte er mit erhobenen Händen. Und er hatte Recht, die Gefahr, dass wir im Höllenschlund landeten und erst beim nächsten Ausbruch wieder hinausgeschleudert würden, war zu groß.
WIR DANKTEN dem großen Engai für seine Güte und Olengaruka für seine Geduld und sein großes Herz, mit denen er uns unbeirrt in tiefster Dunkelheit durch das große Labyrinth der Aufstiegsrinnen geführt hatte. Dann stiegen wir hinab. Der scharf umrissene Schatten des perfekten Vulkankegels wanderte mit der aufgehenden Sonne über die langgezogenen Ausläufer des Kraterhochlands. An den dunklen Füßen des heiligen Berges zogen feine Nebelschwaden in Richtung Natronsee dessen glatte Fläche blassblau schimmerte. Während die Sonne in den Himmel aufstieg, wanderten wir mit großen Schritten durch das gelbe Savannengras. Noch waren ihre Strahlen mild, aber schon bald würde sie wieder mit voller Kraft vom Himmel brennen.
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