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WIE – Welche Herausforderungen kommen auf Bergsteiger zu?

TEXT DR. KARL GABL
FOTOS DR. KARL GABL und ARCHIV HÄRTER

Welche Herausforderungen kommen auf Bergsteiger zu? Und gibt es Strategien, um mit den klimatischen Veränderungen besser umzugehen?

Schon die Frage, ob eine deutlich wärmere Atmosphäre automatisch mehr Gewitter in den Ostalpen bedeutet, klingt logisch. Gewitter gehen immer mit Blitzen einher. Wenn die Überlegung stimmt, müsste sich also die Blitzhäufigkeit erhöhen.

Zur Blitzortung und Blitzdokumentation gibt es in Österreich und im zentraleuropäischen Raum ALDIS (Austrian Lightning Detection & Information System). Die App „ALDIS mobile“ liefert auch Bergsteigern kostenfrei aktuelle Daten. Damit kann jeder ohne großen Aufwand Gewitterzellen lokalisieren und ihre Zugbahnen verfolgen.

ALDIS registriert seit 30 Jahren Blitze. Für eine klimatische Aussage ist eine 30‑jährige Datenreihe selbstverständlich zu kurz. Trotzdem zeigt der lineare Temperaturtrend dieser drei Jahrzehnte keinerlei Auswirkungen auf die Blitzhäufigkeit.

Markant sind jedoch die Jahre 2006 bis 2009, in denen 250.000 bis 300.000 Blitze in Österreich registriert wurden. Die Ursachen dafür sind noch ungeklärt. Normalerweise sind es etwa 150.000 Blitzeinschläge pro Jahr.

Egal ob mehr oder weniger Gewitter:
Eines ist klar – die in den Medien verbreitete Standardformulierung, dass Bergsportler von einem „Gewitter überrascht“ worden seien, sollte verboten werden. Dasselbe gilt bei Kaltlufteinbrüchen („Wettersturz“). Meteorologen kündigen seit Tagen vorher Veränderungen des Wetters an. Auch Gewitter lassen sich heute – meist – hervorragend vorhersagen. Niemand muss mehr überrascht werden.

Daher stört auch die Aussage „Der Wetterbericht ist schlecht“, wenn die Prognose einen Schlechtwettereinbruch anzeigt.

Gewitterstrategie

Einziger Wehrmutstropfen:
Gewitter können nach wie vor nur für eine Region, aber nicht punktgenau für einen bestimmten Ort vorhergesagt werden. Das ist wie bei einem Topf Wasser auf dem Herd: Man weiß, dass Blasen aufsteigen – wo genau, weiß man nicht.

Eine einfache Gewitterstrategie ergibt sich aus der tageszeitlichen Blitzaktivität in den Ostalpen (vom Bodensee bis zum Wienerwald, von Graubünden bis in die Oststeiermark):
Die Häufung erfolgt um 16 Uhr UTC (= 18 Uhr MESZ).

Nicht mehr Blitze – aber häufiger Starkregen

Die teils bereits um 2 °C wärmere Atmosphäre bis in große Höhen hat enorme Auswirkungen auf den Energiehaushalt.
Warme Luft kann deutlich mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Dabei werden bei Verdunstung (Verdunstungskälte) und Kondensation (Freisetzung von Kondensationswärme) gewaltige Energiemengen umgesetzt.

Die Folge: Mehr intensiver Regen. Mehr Überschwemmungen. Mehr Muren.
Immer wieder kommt es aufgrund von Starkregen zu schwerwiegenden Unfällen.

Lower Antelope Canyon, Page (Arizona):
Starkregen verursachte bei einem Canyoning-Unfall 12 Tote am 12. August 1997.

Am Lower Antelope Canyon in Arizona führte ein Gewitterregen im Oberlauf des in der Wüste trockenen Flusses zu einer verheerenden Katastrophe mit vorwiegend jungen Touristen. Zwölf Menschen starben.

Der weltweit schwerwiegendste Unfall ereignete sich am Saxetbach im Berner Oberland, als am 24. Juli 1999 21 Menschen – von insgesamt 45 Personen – auf einer relativ leichten und nur ca. 800 m langen Canyoning-Strecke ihr Leben verloren.

Beispiel der Auswirkungen eines Starkregens auf einen Gebirgsbach:

Lt. Meteoschweiz (Datenquelle BAFU) gab es innerhalb 2–3 Stunden über dem Napf einen intensiven Starkregen, der den Bach Langete auf ein über 100-jähriges Ereignis anschwellen ließ.

Wie kleinräumig sich die Starkregen eines Gewitters auswirken, zeigt das Beispiel eines Gewitterregens in Franzensfeste – südlich von Sterzing – in Südtirol.

Während am 14. August 1998 in Mühlbach am Eingang des Pustertales innerhalb von zwei Stunden 80 Liter/m² (= mm Niederschlagshöhe) Regen gemessen wurden, sind im wenige Kilometer entfernten Sterzing nur 2 Liter/m² vorgekommen. In der Region mit 80 Liter/m² oder mehr sind damals viele Muren abgegangen.

Quelle: Hydrographisches Amt, Autonome Provinz Bozen


Starkregen werden in einer wärmeren Atmosphäre mehr.
Was lässt sich daraus schließen?

Eine einfache, klimaangepasste Wetterstrategie kann das Risiko deutlich minimieren.

Drei Faktoren sind für die Tourenplanung maßgeblich:
Die Zeit, das Ziel und der Zustand.


Der Faktor Zeit

Der Faktor Zeit spielt eine wesentliche Rolle bei der Planung einer Tour. Sind für einen Tag Gewitter angekündigt, sollte die Tour am Vormittag durchgeführt werden.

Dauert es dann doch länger, sollten exponierte Stellen am Nachmittag unbedingt gemieden werden. Das gilt auch für das Canyoning: Früh starten, weil die bei Gewittern vorkommenden Starkregen in der zweiten Tageshälfte deutlich häufiger sind.

Natürlich wird der Faktor Zeit auch durch:

  • die Länge der Tour
  • die Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden
  • die Schwierigkeit der Tour

beeinflusst – aber besonders auch durch ein früheres Auftreten eines Gewitters, das die Zeitplanung komplett verändern kann.


Der Faktor Ziel

Der Faktor Ziel meint eine gewitter-sensible Tourenwahl.

So sollten beim Canyoning eventuell:

  • eine leichtere,
  • schneller zu bewältigende Strecke
  • mit früheren Ausstiegs- bzw. Abstiegsmöglichkeiten

gewählt werden.

Auch die Gruppengröße oder vor der eigenen Gruppe befindliche Gruppen fließen in die Überlegungen zu Zeit und Ziel mit ein.

Besonders bei Prestigetouren – ob auf Hochtouren, beim Canyoning oder beim Klettern – versagt die Zeitrechnung oft. Touren dauern aufgrund von sich bildenden Staus …

Buchtipp:
Dr. Karl Gabl: Bergwetter, Bruckmann Verlag. Das Buch erscheint demnächst in einer ergänzten Neuauflage mit einer erweiterten Wetterstrategie.

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