ÜBERSICHT

Siebentausender in Kasachstan

Arthur Kudelka Text und Fotos

Das Matterhorn des Tien Shan Gebirges

Die Idee entstand bei einem gemütlichen Kletterurlaub in Griechenland.
Auf der Terrasse in der Sonne liegend habe ich Detlef erzählt, dass ich nächstes Jahr gerne zum Khan Tengri aufbrechen würde und ob er nicht mit will. Detlef ist ein starker ­Alpinist und für mich wäre ein guter Partner sehr sinnvoll. Detlef fing an zu googlen und ich merkte gleich, dass ihn der Berg gepackt hat. Steil, hoch und anspruchsvoll, das sind die Merkmale. Kurz nach unserem Urlaub stand die Entscheidung fest, Detlef ist mit dabei und wir können mit der Organisation starten.


Im Juli 2019 fliegen wir endlich nach Kasachstan und nach einem knappen Akklimatisierungsaufenthalt im Karkara Base Camp auf 2200 m geht es am Tag darauf mit dem Helikopter ins eigent­liche Khan Tengri Base Camp auf 4000 m: Der Flug mit einer alten ­russischen Militärmaschine über den Inylchek-Gletscher, einer der größten außerpolaren Gletscher der Welt, ist atem­beraubend. Im Base Camp treffen wir neben unserem Guide P.D. noch andere Aspiranten von überall auf der Welt, insgesamt ca. 20 Bergsteiger. Da unsere Zeit hier begrenzt ist, fangen wir einen Tag nach unserer Ankunft im Base Camp mit der Akklimatisierung an. Unsere erste Etappe ist ein Aufstieg ins Camp 1 des Khan Tengri, bei der wir alles für den nächsten Tag vorbereiten. Dann wieder ins Base Camp und am nächsten Tag die gleiche Prozedur nur mit dem Unterschied, dass wir im Camp 1 übernachten. Von dort geht es dann weiter ins zweite Lager und nach einer kurzen Pause wieder hinunter ins Base Camp für die erste Erholungspause.

Nach unserer Ruhepause geht es weiter mit unserer Akklimati­sierung am Chapaev Peak. Die Route ist uns bereits bekannt, ­weshalb das Erreichen der Lager 1 und 2 kaum ein Problem ­darstellt. Lediglich die mangelnde Höhenanpassung spüre ich während der Nacht in Lager 2. Den Gewalten des Berges zum Trotz erreichen wir den Gipfel des Chapaev auf 6130 m und freuen uns über unseren ersten Erfolg: Meine Freunde und Begleiter Otto und Detlef sind sogar so glücklich, dass sie einen Kopfstand am Gipfel machen. Nach einer kurzen Trink- und Essenspause steigen wir wieder ins Camp 2 ab und übernachten nochmal, bevor es tags drauf zurück ins Base Camp geht. Jetzt heißt es wieder bestmöglich erholen, denn beim nächsten Mal geht es am Khan Tengri in Richtung Camp 3 und dann zum ­Gipfel.


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Nach inzwischen eineinhalb Wochen und drei Unternehmungen am Berg haben wir uns gut akklimatisiert und freuen uns auf den Gipfel. Am 2. August ist es dann soweit. Bis nach dem Mittag­essen bleiben wir im Base Camp und steigen dann ins bekannte Camp 1 auf, wo wir die Nacht verbringen und von wo wir am nächsten Tag den Aufstieg zum Camp 2 in Angriff nehmen. Wir kommen zwar gut voran, aber auch nach unserer Akklimatisierung ist der Weg noch verdammt anstrengend und steil. Am ­frühen Nachmittag kommen wir im Lager an und versuchen, uns so gut wie möglich für die Gipfeletappe am nächsten Tag zu ­e­rholen. Als wir unser Zelt in der Früh öffnen, sind wir eingeschneit. Wir warten noch die Sonne ab, bis wir uns ins Lager 3­ ­aufmachen. Die Kletterpassagen rauben uns wieder den Atem. Am Gipfel des Chapaev können wir leider nicht viel erkennen, da es auch leicht schneit. Wirklich Lust, hier oben zu verweilen, hat von uns keiner, sodass wir uns gleich auf den Weiterweg über einen kurzen Abseiler über den Bergschlund und dann weiter ins Lager 3 machen. Insgesamt 7 Stunden brauchen wir für den Auf- und Abstieg, bis wir am Nachmittag des 5. August gegen 15 Uhr den Lagerplatz im Sattel erreichen und erstmal unsere Zelte aufbauen. Als unser Zelt steht, machen wir uns ans Kochen, Essen und Trinken. Wir versuchen, uns bestmöglich zu erholen, auch wenn es auf dieser Höhe fast nicht mehr möglich ist.

Um Punkt Mitternacht endet unsere bitterkalte Nacht. Entgegen der eigentlichen Wettervorhersage, die den ganzen Tag Schneefall angekündigt hat, ist es am Tag unserer Gipfeletappe sternenklar. Es hat schätzungsweise um die minus 20 Grad Celsius und wir müssen uns bewegen, um keine Erfrierungen zu riskieren. Im Licht unserer Stirnlampen erreichen wir den Westgrat des Gipfelaufbaus und starten mit der Kletterei im felsdurchsetzten ­Gelände. Am ersten einigermaßen geraden Platz in der Route machen wir eine kurze Trinkpause und sehen tatsächlich noch zwei Zelte zusammen­gequetscht auf einer gefühlt drei Quadratmeter großen ­Fläche. Die Sonne geht gerade auf und wir genießen den Anblick des Morgenrots über dem Tien Shan Gebirge. Es ist immer noch eiskalt, sodass wir schnell ­weitergehen. Das Gelände bleibt konstant steil und wir arbeiten uns Meter für Meter nach oben. Dennoch kommt es einem vor, als würde man im Schneckentempo gehen und niemals ankommen. Nach ca. 6 Stunden erreichen wir endlich das Couloir, ­welches uns in Richtung oberen Gipfelaufbau führt. Hier geht es ein letztes Mal steil bergauf, bevor wir am Gipfelschneefeld ankommen. Nach insgesamt 9 Stunden Aufstieg erreichen wir dann völlig erschöpft, aber glücklich den Gipfel des Khan Tengri auf 7010 m.

Unbeschreiblich schön zeigt sich das das Tien Shan Gebirge um uns herum. Der Pik Pobeda im Süden und die riesigen Gletscher um uns herum sind atemberaubend. Am Gipfel stehen wir zudem auf drei Ländergrenzen, Kasachstan, Kirgistan und China. Otto, Detlef, unser Guide P.D. und ich sind die ersten am Gipfel und ganz allein hier. Das nutzen wir aus und knipsen ein paar Fotos, bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen. ­Dieser gestaltet sich fast genauso anstrengend wie der Aufstieg. Ein dauernder Wechsel zwischen Abseilen und einfach am Fixseil ablassen. Die Sonne kommt irgendwann in die Route und es wird unerträglich heiß. Die warmen Sachen kann man nur teils aus­ziehen und ich koche in meiner isolierten Überhose. Nach insgesamt 14 Stunden Auf- und Abstieg stehen wir endlich wieder im Lager 3 und freuen uns über diesen wundervollen Tag. Begreifen können wir es noch nicht wirklich, aber wir waren tatsächlich da oben, am Gipfel des Khan Tengri. Zur Belohnung gibt es die ­Gipfel-Gummibärle, extra sauer! Unsere deutschen Freunde ­Thomas und Henk aus dem Base Camp erreichen das Camp 3 und wollen morgen aufsteigen. Wir können unseren Erfolg schon genießen und fallen müde in unsere Schlafsäcke.

Der nächste Tag fordert noch mal alles von uns. Über fünf an­einander gebundene Aluleitern überwinden wir den Bergschrund, den wir zwei Tage zuvor einfach abgeseilt haben. Dann geht es über den Chapaev rund 2100 Höhenmeter runter ins Base Camp. Und wenn man denkt, die Strapazen sind vorbei … Und wenn man denkt, die Strapazen sind vorbei, fängt einen Mucha, der Chef des Base Camps, vor dem Zelt ab und holt den Vodka-Kirsch, liebevoll Mucha-Martini von ihm ­genannt, raus. So einen Gipfel muss man richtig feiern, sa sdorowje. Hier endet dann auch meine Erinnerung an eine wundervolle und erlebnisreiche Expedition zum Khan Tengri – dem Matterhorn des Tien Shan!

Arthur Kudelka ist Mitarbeiter bei unserem Ausrüstungs­partner LOWA und war im Sommer 2019 mit TOP MOUNTAIN TOURS erfolgreich am Khan Tengri unterwegs. Der Khan Tengri, 7010 m, ist technisch anspruchsvoll, bietet über den Nordgrat/Normalweg jedoch einen relativ sicheren Anstieg (vergleichbar mit dem Normalweg auf die Ama Dablam).

TOP MOUNTAIN TOURS führt die Expedition zum Khan Tengri jedes Jahr im Juli/August durch. | ZUR REISE |


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